Freund oder Feind?

Originalartikel hier.

Antwort an eine Freundin, die zur Antisemitin wird
Wir müssen wissen, wer unsere Freunde sind und wer nicht.
Gary Wexler – Jüdische Zeitschrift

Sie ist schwarz. Ich bin Jude.
(Beachten Sie, dass ich nicht Weisser gesagt habe.)
Sie ist eine Vordenkerin und Aktivistin in der schwarzen Community. Wir trafen uns, als ich sie bat, vor meiner Klasse an der USC zu sprechen. Sie stellte mir viele Fragen über das Judentum.
Also lud ich sie zu Pessach zu uns nach Hause ein. Sie stürzte sich direkt in die Seder Diskussion. Sie war eine erleuchtende und bereichernde Teilnehmerin.
Sie kam mit uns zum Neila-Gottesdienst an Jom Kippur in die Synagoge und stand in der Schlange, um mit der Tora zu sprechen, ein Brauch in unserer Gemeinde.

Aber dann, kurze Zeit später, während eines aufflammenden Konflikts an der Grenze zu Gaza vor einigen Jahren, teilte sie mir in einer SMS mit, dass sie auf der Seite ihrer palästinensischen Brüder und Schwestern stehe und ausser mir keinem anderen Juden ins Gesicht sehen könne.

Whoa.

Es war nicht die Unterstützung für die Palästinenser, die mich kalt erwischte. Es war der Teil „Ich kann keinem anderen Juden ins Gesicht sehen“.
Ich schrieb ihr zurück, dass sie als Forscherin an einer großen Institution in L.A. ihrem Beruf nicht gerecht werde. Wie sehr hatte sie sich mit der Situation auseinandergesetzt, um einen so harschen Kommentar abzugeben? Ganz zu schweigen davon, dass ich das Gefühl hatte, sie verrate auch unsere Freundschaft. Wenn ich der einzige Jude war, dem sie ins Gesicht sehen konnte, verlangte sie von mir nichts weniger, als mein eigenes Volk zu verraten.

Ein paar Wochen später rief sie mich an und bot mir als Entschuldigung an, mich zum Abendessen einzuladen.

Ich ging hin. Ich sah es als meine jüdische Verantwortung, mich am Dialog zu beteiligen. Ich wollte unsere Seite der Geschichte teilen, da diese intelligente, neugierige und belesene Frau offen und reuevoll war.

Meine Frau sagt immer, dass ich zu nachsichtig sei. Das ist meine Natur. Oder war meine Natur. Bis letzte Woche, als meine ehemalige Freundin mir Folgendes schrieb:

Gary…
Wisse, dass ich dich ehre, liebe und respektiere. Aber mein Herz schmerzt wegen des Leids der palästinensischen Nation.
Für mich sind sie Schwarze.
Und diejenigen, die vom Nazi-Regime fast ausgerottet wurden, haben sich Hitlers Modus Operandi offenbar zu Herzen genommen.
Wenn du aufgrund dieser Gedanken wütend auf mich wirst …ich werde es verstehen.
Ich werde dich immer lieben und respektieren für das, was du bist und was du repräsentierst. Aber ich werde niemals Zionisten unterstützen.
Langston Hughes fragte: Was passiert mit einer Rosine in der Sonne?
Nun, jetzt wissen wir es.

Ich wünsche dir, Dana und den Kindern ein wunderbares Thanksgiving. Feiert eure Liebe zueinander.
Und bitte wisst, dass ich euch ehre und respektiere.
Wisse das!!

Whoa. Whoa. Whoa.

Diesmal musste ich innehalten und nachdenken, bevor ich ihr zurückschrieb.

Ich hatte mir am 8. Oktober geschworen, dass ich mich von niemandem mehr einschüchtern lassen würde, und mich mutig für mein Volk einsetzen würde. (Beachten Sie das Fettgedruckte.)
Keiner von uns kann es sich noch länger leisten, eingeschüchtert zu werden. Jetzt geht es ums Überleben.

Aber zuerst musste ich als Vermarkter und Kommunikationsprofi meine eigene Analyse durchführen.

Sie sagte mir, dass sie mich ehre und respektiere, verglich aber im gleichen Atemzug mein Volk mit Nazis.

Sie sagte mir, dass sie mich immer lieben und respektieren würde für das, was ich bin und was ich repräsentiere, aber im gleichen Atemzug sagte sie, dass sie niemals das unterstützen werde, was mir am meisten am Herzen liegt – meinen Zionismus.

Indem sie so verletzend von beiden Seiten ihres Mundes sprach, verlor sie mich. Sie hatte keine Glaubwürdigkeit mehr.

Dann stellte ich mir einige grosse Fragen und gab mir Antworten:

1. Frage: Was hat sie dazu bewogen, diese Worte überhaupt zu schreiben?
Antwort: Sie sprach nicht nur für sich selbst. Sie sprach im Namen des Teils ihrer Gemeinde, in dem sie sich bewegt.  Was sie sagte, spiegelt die interne Diskussion wider, die sie über Juden führen. Diese Diskussionen stärkten sie.

2. Frage: Warum hatte sie als gebildete, intelligente Leiterin ihrer Gemeinde das Gefühl, dass sie damit durchkommen könnte?
Antwort: Sie glaubt, sie setze sich für ihr Volk ein, das jetzt mit der „palästinensischen Nation“ verbündet ist. (Verbündeter ist heutzutage ein wirklich gefährliches, belastetes Wort). Sie war auf einer rechtschaffenen Mission.

3. Frage: Könnte ich mir vorstellen, ihr so etwas über Schwarze zu schreiben? Oder zu irgend jemandem über irgendein Volk? Sagen, dass sein oder ihr Volk schrecklich ist? Würde ich?  
Antwort: Nein. Es ist Rassismus in einer seiner schlimmsten Formen.

4. Frage: Wie leer war ihre ursprüngliche Entschuldigung einige Jahre zuvor? War ich ein Narr, als ich sie akzeptierte?  
Antwort: Sie hat sich damals ernsthaft entschuldigt. Aber innerlich muss sie mit ihrer Ambivalenz gekämpft haben. Dann meldete sich ein Teil ihrer Gemeinde mit dieser neuen Diskussionen und sie kehrte zu ihrem Hass zurück, weil sie glaubte, dass er edel sei.
War ich ein Narr?
Damit kämpfe ich immer noch.
Ist ein Antisemit immer ein Antisemit?
Ich weiß es nicht. Die Welt ist mit Sicherheit zu ihrem Antisemitismus zurückgekehrt.

Mit all dem im Hinterkopf, zusammen mit meiner Entschlossenheit, mich für mein Volk einzusetzen, antwortete ich mutig und direkt, ohne leere Floskeln der Begrüssung:

Und was würdest DU tun, wenn 250 Schwarze als Geiseln gehalten würden?

Und 1.200 Schwarze Menschen ermordet, vergewaltigt, Kinder vor den Augen ihrer Eltern getötet, Eltern vor den Augen ihrer Kinder getötet, Babys in Öfen zu Tode gebacken wurden?

Und wenn die Täter damit drohen, es immer wieder zu tun, bis jeder Schwarze auf der ganzen Welt tot ist?

Würdest du um einen Waffenstillstand bitten? Würdest du schwarzen Menschen, die zu Hilfe kommen?

Oder würdest du die Täter beschuldigen, die ihre Leute benutzen … Mütter, Väter und Kinder, Kranken und Sterbende, als menschliche Schutzschilde?

Würdest du den Verteidigern die Schuld geben, die die Menschen warnen, zu fliehen und sich aus der Gefahrenzone zu entfernen?

Oder würdest du den Tätern die Schuld geben, die sie daran hindern?

Würdest du den Tätern die Schuld geben, die behaupten, dass es für sie keine Möglichkeit gibt, wegzugehen … dieselben Täter, die es aber schafften, eine Milliarden-Dollar-Mauer zu durchbrechen und Menschen auf Motorrädern, Golfwagen und Autos zu entführen … und sogar Drachenflieger einsetzten um zu morden, vergewaltigen und plündern wie im Mittelalter …
Und du willst  behaupten, dass dieselben Leute nicht wissen, wie sie ihre Leute in Sicherheit bringen können?

Ich bin Zionist … ein stolzer Zionist und Jude.
Wer bist du?
Eine gefährliche, ignorante Antisemitin, von der ich nie wieder etwas hören möchte.

Vor ein paar Abenden wurde ich von drei meiner ehemaligen Studenten, die jetzt erfolgreiche Profis sind, zum Abendessen eingeladen. Es sind drei Frauen: Eine ist Armenierin. Eine ist französische Senegalesin, eine Muslimin. Und die dritte ist Afroamerikaner.
Ich hoffte, dass sie den Krieg nicht zur Sprache bringen würden. Aber innerhalb von fünf Minuten taten sie es. Und alle vermittelten mir ihre Besorgnis über Israel und das jüdische Volk. Sie wollten nur so viel wissen, wie ich ihnen erzählen konnte, über den Krieg, über Israel, über das jüdische Volk, aber auch darüber, wie mich das alles beeinflusst hat.

Ich zeigte ihnen den Text meiner ehemaligen Freundin. Sie waren entsetzt.

Als das Abendessen vorbei war, umarmten sie mich herzlich, etwas, das in dieser neuen, sensiblen Umgebung für Studenten niemals erlaubt gewesen wäre.

Ich bin froh, dass wir dieses Abendessen hatten. Es war sehr wichtig, wenn man bedenkt, wie ich immer noch mit dem jüngsten SMS-Krieg zu kämpfen habe. Um dann, überall wo ich hingehe, mich insgeheim zu fragen: Ist diese Person ein Antisemit? Es ist fast wie posttraumatischer Stress.

Israel und das jüdische Volk befinden sich in einem Kampf um unsere lebendige Existenz. Wir müssen uns gegen den Ansturm auf unseren Körper und unsere Seele wehren. Wir müssen wissen, wer unsere Freunde sind und wer nicht.

Gary Wexler wurde kürzlich von der israelischen Nationalbibliothek mit der Schaffung des Gary-Wexler-Archivs geehrt, einer 20-jährigen Geschichte jüdischen Lebens, die durch die Werbekampagnen erzählt wird, die er für jüdische Organisationen in den USA, Kanada und Israel erstellt hat.

 

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5 Antworten zu Freund oder Feind?

  1. Anima Chutzpanit schreibt:

    Ja, man verliert Fteunde seit dem 7. Oktober. Doch manchmal bekommt man statt dessen Unterstützung aus unerwarteten Ecken.

  2. Rika schreibt:

    Oh, ich danke Dir, liebe Renate, für diesen Text und Deine Übersetzungsarbeit. Mein Schulenglisch liegt lange zurück, ich würde den Originaltext zwar verstehen, aber es wäre etwas mühsam.

    Zum Text selbst und seine Botschaft, die für mich diese Konsequenz hat: „ICH“ muss einseitig bleiben, einseitig an Israels Seite bleiben, mich nicht einschüchtern lassen von den Freunden und ihren Argumenten, die sich so verständnisvoll anhören und doch nichts anderes hinter der freundlich-besorgten Maske um Israels „Demokratieverständnis“ bereithalten als den alten Hass auf Juden.

    Und ich will es auch zeigen, ja, ich stehe zu Israel.

    (Gestern haben wir eine Fahrradtour gemacht, an meinem Fahrradkorb, hinten an meinem Trike flattert die gleiche kleine Israel-Fahne wie an meiner Tasche … lag es daran, dass ich unterwegs sehr viele Leute bewusst wahrnahm, von denen ich aufgrund ihrer typischen Kleidung annehmen kann, dass sie auf der anderen Seite stehen? Wir waren eine kleine Gruppe, darum fühlte ich mich sicher, aber ganz allein? Und ist es falsch, so etwas auch nur zu denken, geschweige denn zu schreiben?)

  3. faehrtensuche schreibt:

    Ein Supertext! Danke für die Übersetzung!

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