Aufgeschreckt

Ferien sind wenn ich, anstatt die geplante Arbeit zu erledigen, noch im Pyjama meinen Laptop anwerfe um zu schreiben. Um meine Gedanken in eine Form zu bringen – noch keine Ahnung in welche – weil ich gerade etwas gelesen habe, das einen Nerv getroffen hat.
Es ist das Interview mit der Geschlechtsforscherin Franziska Schutzbach, das mich aufgeschreckt und in einen – obwohl das jetzt paradox ist – angenehmen, weil eben nur in den Ferien so richtig möglichen, Alertmodus versetzt hat.

Das Genderthema.
Ich muss gestehen, dass mir deswegen ab und zu ein heimlicher Seufzer entwischt und ich in meiner Haltung ambivalent bin. Und das, obwohl ich doch zu 100 Prozent mitgekriegt habe, wie sehr das hiesige Frauenstimmrecht selbst 1971 noch auf der Kippe stand. Obwohl ich aus meinem Alltag weiss, wie oft sich Mädchen unterschätzen (und Jungs zum Gegenteil tendieren). Vielleicht sind es all die Sachen drum herum, die mich etwas nerven. Gendersternchen, Doppelpunkt oder doch lieber Schrägstrich versus umständliche Doppel- oder Mehrfachformulierungen?   

Aber.
Das Interview hat bei mir deshalb einen Nerv getroffen, weil es mal nicht primär um Berufs- und Karrierechancen von Frauen geht, sondern um alles, was im Hintergrund steht, nämlich um die Zuständigkeit für die Sorgearbeit in einer Gesellschaft. Die sehr erschöpfend sein kann. Und die nach wie vor zum grössten Teil uns Frauen obliegt.

Ich kann da aus eigener Erfahrung sprechen. Es gab ein Jahr, wo es mir ziemlich schlecht ging, wo ich permanent am Rande der Erschöpfung stand. Das war das Jahr, bevor ich meinen Mann verliess und nochmals neu begann. Der Vorsatz war klar ausgesprochen und zwischen Verabschiedungsritualen (das letzte Mal diesen Baum blühen sehen…) und Wohnungssuche versuchte ich noch ein paar letzte Monate, die perfekte Familienfrau zu sein.
Das sah in der Praxis dann so aus, dass ich im Auto, auf dem Weg zur oder von der Schule meinen Gefühlen freien Lauf liess, um sonst die Starke zu markieren. Am Arbeitsort eine befriedigende Leistung abliefern (der einfachere Teil). Auf dem Heimweg bei meiner Mutter im Pflegeheim vorbeigehen, um sie etwas aufzuheitern und auf dem Weg durch den Korridor noch hier und da ein Lächeln und ein gutes Wort zu verschenken. Sämtliche Hausarbeiten erledigen. Vermutlich aufgrund eines unrationellen schlechten Gewissens wollte ich bis zum letzten Tag alles perfekt machen, damit die unterschwelligen Spannungen nicht Oberhand gewinnen konnten. Die Stimmung zu Hause trotz der heiklen Situation im grünen Bereich halten. Mein Bestes geben, damit es dem Teenager gut ging und er nicht unter meiner Entscheidung leiden musste.

Dieser Exkurs dient nicht dazu, mich als Alltagsheldin darzustellen.
Er soll deutlich machen, dass die meisten Frauen es sind. Nach wie vor sind sie es, die – oft neben ihrem Job, der heute glücklicherweise Standard ist – den Alltag organisieren: An alle Geburtstage denken, Einladungen organisieren, sämtliche Termine der Familie koordinieren, Eltern und Grosseltern betreuen, Kinder trösten und besänftigen, mit der Katze zur Tierärztin gehen, ein offenes Ohr für Leute haben, denen es gerade dreckig geht, die Kinder zu ihren Freizeitaktivitäten begleiten, sich schöne Ferienorte ausdenken und dann alles ein- und wieder auspacken und – nicht zu vergessen – dabei immer noch entspannt, glücklich und hübsch aussehen. Das ganz besonders.
Es sind gute Voraussetzungen für ein Burnout.

Man stelle sich nur vor, wenn die Frauen einfach mal die Hände in die Hosentaschen stecken würden und die ganzen unbezahlten und ungewürdigten Arbeitsstunden, die sie leisten, nicht machen würden. Sich mal bloss auf ihre Karriere konzentrieren würden. Das «Heute stehen den Frauen doch alle Türen offen» ganz wörtlich nehmen und durch die nächste hinaus spazieren würden.
Wie würde dann unserer Gesellschaft aussehen?

Dieser Artikel hat mich aufgerüttelt. Ich werde mit dem Twenager darüber sprechen. Er ist mein Kind und hat womöglich ein paar ungünstige Haltungen verinnerlicht.
Und in Zukunft werde ich etwas weniger seufzen, wenn es um Gleichstellung geht. Noch sind wir nicht am Ziel.

Woman In Multitasking Situation Free Vector Download 441025 | CannyPic
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